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Streetworker kümmert sich um Trinkerszene
Einsatz auf Lucie-Flechtmann-Platz
von Karin Mörtel 17.09.2018
Ein Streetworker soll versuchen, dass Stadtgärtner, Anwohner und Trinkerszene auf dem Lucie-Flechtmann-Platz gut miteinander auskommen können.
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Arbeitsplatz Lucie-Flechtmann-Platz: Streetworker Christian Claus. (Gerbracht) |
Ab sofort arbeitet Christian Claus auf dem Lucie-Flechtmann-Platz. Jedoch nicht als Stadtgärtner wie die Aktiven des Vereins „Kulturpflanzen“, die dort seit der Umgestaltung in diesem Sommer in Muttererde anstatt in provisorischen Hochbeeten säen und ernten. Claus ist beim Verein für Innere Mission als Streetworker angestellt.
Er soll das kommende Jahr dazu nutzen, sich um die Trinkerszene auf dem Platz zu kümmern, mit der es in der Vergangenheit immer wieder Konflikte gab.
An diesem sonnigen Vormittag im Spätherbst ist es ruhig auf dem Lucie-Flechtmann-Platz. Ein paar Männer sitzen mit Bierflaschen auf den Treppenstufen zur Westerstraße. Eine Frau schlendert zwischen den neu angelegten Beeten der Stadtgärtner umher und begutachtet Gemüse und Blumen, die darin wachsen. Nur der Straßenlärm ist gewöhnungsbedürftig – und wird es wohl bleiben.
„Zur Zeit läuft es gut auf dem Platz“, sagt Vereinsmitglied Uta Bohls auf Nachfrage. Seit ein Großteil der Betonpflastersteine entfernt wurde und „Lucie“ ihr neues Gesicht bekam, habe es keine nennenswerten Konflikte mehr mit Trinkern gegeben. Ausufernde Saufgelage, Müll und Urin auf dem Platz sowie Pöbeleien gegen Gärtner und Passanten wie sie besonders im Sommer 2016 – wie berichtet – auf „Lucie“ häufiger geschehen sind, seien derzeit kein Thema, berichtet Bohls. „Das ist angenehm“, fügt sie hinzu.
Dazu beigetragen hat vermutlich auch, dass ein benachbarter Discounter für mehrere Wochen geschlossen hatte, wo nun aber wieder Menschen, die günstigen Alkohol suchen, in den Regalen fündig werden. „Stammgäste“ nennen die Stadtgärtner die meist männlichen Alkoholkranken und meinen das nicht abfällig. Sie erkennen mit der Bezeichnung an, dass es die Szene schon vor der Initiative auf dem Platz gab. „Es war nie unser Ziel, diese Menschen zu vertreiben, aber wir brauchen Regeln für ein besseres Miteinander“, sagt Bohls. Denn spätestens wenn die neuen Sitzbänke wieder aufgestellt werden, ist anzunehmen, dass die Trinkerszene wieder auf den Platz zurückkehrt, befürchten die Stadtgärtner. „Das kann ich fast garantieren“, sagt dazu Berthold Reetz von der Inneren Mission.
Deeskalation statt Vertreibung
Die Hoffnung im Stadtteil ist daher, dass ein verlässlicher Ansprechpartner deeskalierend eingreifen kann, bevor die Hunde der Szenemitglieder durch die Beete jagen und die Trinker wieder an die Container des Vereins der Stadtgärtner pinkeln. „Noch hat die Szene nicht wieder den ganzen Platz eingenommen, vielleicht können wir uns auf einen festen Ort einigen, wo die Stammgäste sitzen können“, meint Bohls.
Für die Neustädter Ortsamtsleiterin Annemarie Czichon ist es wichtig, dass der Streetworker neben dem Lucie-Flechtmann-Platz auch die Große Johannisstraße mit in den Blick nimmt. Dort am Rande der Hochschule gibt es auch einen Szenetreffpunkt, der mal mehr und mal weniger Probleme in der Nachbarschaft erzeugt. Der Beirat ist 2017 bereits in Vorleistung gegangen und hat mit Globalmitteln Honorarstunden für eine Streetworkerin bezahlt, die mit diesem Personenkreis an beiden Orten ein halbes Jahr lang Kontakt hatte. Als langfristige Lösung hatte die junge Frau damals einen betreuten Unterstand für die Trinker auf dem Platz vorgeschlagen. Ohne professionellen Ansprechpartner für die Suchtkranken ist diese Idee vorerst nicht umsetzbar – darin waren sich Stadtteilpolitiker, Polizei und Stadtgärtner bislang einig.
Und auch mit dem Arbeitsantritt von Christian Claus sei keineswegs festgelegt, dass ein Unterstand gebaut werde, sagt Reetz. „Erst einmal muss der Streetworker Kontakt zu den Menschen bekommen und Vertrauen aufbauen“, so Reetz, der den Bereich Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission leitet. Erst in einem zweiten Schritt ginge es darum, gemeinsam mit den Gärtnern und den Suchtkranken über Lösungsmöglichkeiten zu sprechen, um ein besseres Miteinander hinzubekommen.
Das könnten Sitzgelegenheiten an einem festgelegten Ort, der Wechsel zu einem anderen Treffpunkt oder etwas ganz anderes sein. „Mir imponiert jedenfalls, dass die „Lucie“-Leute von Anfang an gesagt haben, dass sie das Problem gemeinsam lösen wollen und es nicht um Vertreibung geht“, lobt Reetz.
20.000 Euro für ein Jahr hat die Innere Mission von der Wirtschaftsbehörde aus dem Programm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ (LOS) für eine halbe Stelle des Streetworkers erhalten. Aus der Sozialbehörde heißt es, man werde den fehlenden Restbetrag übernehmen. Weil es sich auch aus Sicht von Senatorin Anja Stahmann (Grüne) um ein Projekt handele, „das das Zusammenleben im Stadtteil fördert und für das es bereits einen ermutigenden Vorlauf gegeben hat.“