14. Dezember 2015

Eisig-glühender Jahresabschluss

Frisch kopiert vom Weser-Kurier!
Den Original-Artikel gibt es HIER.

Mit dem Winterfest endet der Veranstaltungsreigen auf dem Lucie-Flechtmann-Platz

Eisig-glühender Jahresabschluss

14.12.2015
 
Wintermarkt Lucie-Flechtmann-Platz © Joschka Schmitt
Zur feurigen Jonglage vom „Cirque du Rongeur“ versammelten sich viele Menschen auf dem Lucie-Flechtmann-Platz. (Joschka Schmitt)

 
Zunächst verlieren sich die Menschen ein wenig auf der Fläche von der Größe eines Fußballfeldes an der Westerstraße. Im Dunkeln sowieso. Anders als bei typischen Winterfesten gibt es keine prunkvolle Beleuchtung. Stattdessen einen gemütlichen Feuerkorb, eine unterhaltsame Feuershow und sogar ein klitzekleines Feuerwerk, das jemand noch von Silvester übrig gehabt haben muss. Später, als die Besucher sich zur feurigen Jonglage vom „Cirque du Rongeur“ vor der Holzbühne versammeln, wird deutlich, dass etliche gekommen sind. Eine Menschentraube bildet sich zwischen all den Hochbeeten, Installationen und Sitzgelegenheiten. Der Fokus liegt auf einem liebenswürdigen Miteinander, persönlichen Begegnungen, einer gelebten Nachbarschaft und Klasse statt Masse. Denn eine Massenveranstaltung ist das Lucie-Winterfest nicht. Und will es auch gar nicht sein. Spielende Kinder wuseln umher und haben sichtlich Spaß, auf der einstigen Brache zu toben, oder erfreuen sich an Stockbrot. Ältere zieht es in die mobile Sauna in einem Holzwagen. Zwischendurch stärken sich Groß und Klein mit heißen Getränken gegen eine kleine Spende.

Dieser urbane Raum, selbst gestaltet und abseits von Kommerz und Glanz, bietet normalerweise einen fruchtbaren Kontrast zum Alltag, diesmal aber speziell zu gängigen Weihnachtsveranstaltungen. „Es ist eine schöne bunte Gemeinschaft“, freut sich die Soziologiestudentin Lina Hansen aus dem Viertel. Sie ist so etwas wie die Pressesprecherin der Lucie-Leute und nimmt sich Zeit, ein bisschen zu erzählen. „Vorhin ist noch eine Gruppe Flüchtlinge aus der Unterkunft Zollhaus angekommen“, sagt sie fröhlich. Bereits am Nachmittag konnten Kinder und Familien eine Vogelfutterstation zum Aufhängen basteln

SUD Neustadt Lucie-Flechtmann-Platz Winterfest © Roland Scheitz
Soziologiestudentin Lina Hansen aus dem Viertel mit dem siebenjährigen Jannis und der zwei Jahre alten Franziska unterstützt die Lucie-Akteure. (Roland Scheitz)


Vier Feste gibt es, jeweils eins pro Jahreszeit. Nach einem kühlen Saisonstart, einem heißen Sommer- sowie einem goldenen Erntefest soll es nun ein „eisig-glühender“ Jahresabschluss werden. Auch wenn es nicht besonders kalt ist, leuchten rote Kinderwangen im Schein des Feuerkorbs. Den Unterschied des Winterfests zu anderen sieht Lina Hansen auch darin, dass es eine Zäsur für die seit dem Sommer 2013 bestehende Begegnungs- und Kulturstätte darstellt. Es läutet eine Phase des Umbruchs ein und beschließt das erste Kapitel. „Nun wird es ernster und noch einmal spannender“, sagt Lina Hansen. Denn die Umgestaltung des Platzes ist beschlossene Sache. Gespräche mit der Stadt laufen. „Wir hoffen darauf, eine Stelle gestellt zu bekommen, um präsenter sein zu können. Nur mit Ehrenamt ist es auf Dauer schwierig.“

Besonders an der, ihres Wissens nach bundesweit einzigartigen Konstellation ist die selbst organisierte Nutzung eines öffentlichen Platzes mit städtischem Einverständnis. „Das wird sehr gut angenommen und belebt die Gegend. Toll, dass die Stadt so mitzieht“, freut sich Lina Hansen. Dieses homogene Biotop sei ein wertvoller Platz für die Neustadt und überhaupt ganz Bremen geworden. „Wer sich hier trifft, würde sich niemals begegnen. Ich selbst komme immer aus dem Viertel herüber und wäre sonst kaum in der Neustadt.“

Man merkt, wie sie für diesen Freiraum brennt. Es sei diese Art der Vergesellschaftung, die sie spannend finde. Darüber will die Soziologiestudentin auch ihre Bachelorarbeit schreiben. Neben ihr sind es etwa 15 Leute, die sich konstant im Organisationsteam engagieren, plus sporadisch Aktive und Unterstützer in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. „Wir hoffen, dass noch mehr Menschen Verantwortung übernehmen“, sagt Lina Hansen. Wenn bald zunehmend Bewegung in die Bewegung kommt, seien auch Kooperationen mit Kulturträgern angestrebt. Zunächst lief die Nutzungsgenehmigung bis April 2016, doch inzwischen ist klar: Es geht weiter und kommt zur Entsiegelung. Die grauen Steine weichen dann einem befestigten Platz mit echten Beeten, Urban Gardening und Parkflächen sowie Naherholung. Bremen bezeichnet Gespräche und Verlauf laut Lucie-Internetseite als „ersten basisdemokratischen Prozess der Stadtentwicklung“. Vorgesehen sind gemäß dem Konzept zudem eine von Hochschulstudenten gestaltete Lehmbühne sowie ein Bürocontainer. Denn Selbstverwaltung ist auch Verwaltung, die es zu bewältigen gilt.

Lina Hansen ist ins Schwärmen gekommen. Vom bisher Erreichten, aber besonders davon, was da alles noch kommen mag, etliche weitere Feste zum Beispiel. „Auf einem normalen Weihnachtsmarkt hätte ich es gar nicht so lange ausgehalten“, sagt sie und lacht. Dann wird sie gerufen, um den nächsten Programmpunkt anzumoderieren. Teilweise auch auf Englisch, damit sie alle verstehen. „Es wäre schön, wenn ihr näher kommt, außer ihr seid gerade in der Sauna.“ Es folgen Feuershow, Tanz und Livemusik. Bevor sie ans Mikrofon tritt, verabschiedet sie sich noch mit den Worten: „Ich habe auf der Lucie das Träumen gelernt. Klingt pathetisch, ist aber wahr. Es ist großartig, mit Leuten diese Träume umzusetzen. Nicht nur zu reden, sondern auch zu machen.“