Das Stadtgarten-Jahr: Fast schon Normalität
Ein bisschen ist es schon Routine. Einige sehr wichtige Themen dürfen nicht fehlen im Lucie-Jahr, und so gab es auch 2017 wieder eine Saatgut Tauschbörse und die Jahreszeitenfeste. Schließlich möchten wir mit dem Stadtgarten nicht nur die Nachbarschaft zusammenbringen, sondern auch Antworten für die drängenden Fragen unserer Zeit suchen. Ein Beispiel:
Es ging durch die Medien, dass der Singvögel-Bestand in Europa um 80% zurückgegangen ist. Diese traurige Meldung ist Teil eines noch größeren Artensterbens: Durch die moderne Landwirtschaft, die wenige Getreide- und Gemüse-Sorten anbaut und diese stark mit Pestiziden behandelt, haben wir bereits 75% der weltweiten Kulturpflanzen-Vielfalt verloren. Ab Juni, nach der Hauptblütezeit, finden zunächst die Insekten auf dem Land nichts mehr zu fressen, und im nächsten Schritt dann die Vögel.
In dieser Situation sind Städte zu wichtigen Hotspots der Artenvielfalt geworden: Die Balkone und die Lucie blühen auch noch im Spätsommer und Herbst! Zeitgleich bietet der Lebensmittelanbau in der Stadt eine erste Alternative zu den Monokulturen auf dem Land.
Veranstaltungen
Bei unserer Saatgut Tauschbörse im Februar haben daher der Gärtnerhof Oldendorf, der BUND, der Verein Sozialökologie und wir Lucies mit den Besucher/innen Saatgut getauscht und dadurch zum Erhalt und zur Verbreitung alter und regionaler Gemüsesorten - und somit zur Artenvielfalt beigetragen. Zusätzlich hat die Autorin Anja Banzhaf mit ihrem Vortrag „Wer die Saat hat, hat das Sagen“ über die Zusammenhänge von durch Firmen patentiertes Saatgut und dem Verlust von Kulturpflanzen informiert.
Beim Saisonstart wurden zahlreiche neue Stauden gepflanzt. U.a. Phlox, Astern und fette Henne haben den Stadtinsekten und dem Lucie-Bienenvolk wieder satt aufgetischt. Das Pflanzen macht immer Spaß und noch dazu gab es besondere Unterstützung: Mit einer extra angefertigten mobilen Küche von WeserHolz, dem Lucie-Küchenmobil, hat ein Team von geflüchteten Menschen uns kulinarisch versorgt.
Nach dem gruseligen Ergebnis der Bundestagswahl im September hat sich am Tag der offenen Gesellschaft eine Gesprächsrunde zu Gartendinner und zum Diskutieren versammelt, um der zunehmenden Verrohung und Hetze in der digitalen Welt ‚reale‘ Verständigung entgegenzusetzen. Nachbarschaftliche Begegnung gab es außerdem bei den monatlichen Flohmärkten und Kreistänzen.
Trinkerszene
Das verlässlichste Klientel unter den Lucie-Besucher/innen sind die suchtkranken „Stammgäste“. Täglich versammeln sich verschiedene Cliquen zum Alkohol-Konsum auf dem Platz in unmittelbarer Aldi-Nähe und regelmäßig kommt es zum Streit untereinander. Diese Situation hat uns und den Platz-Anlieger/innen schon viele Nerven gekostet. Nachdem viele Gespräche und Hilfegesuche unsererseits fruchtlos geblieben waren, gab es 2017 endlich professionelle Unterstützung: Eine Streetworkerin hat es geschafft, mit lediglich 8 Wochenstunden Arbeitszeit eine deutlich friedlichere Atmosphäre auf dem Platz herzustellen, als in den Vorjahren. Leider war diese Stelle nur befristet. Denn obwohl Alkoholismus in unserer Gesellschaft so verbreitet ist, gibt es in Bremen bisher nicht eine städtisch finanzierte Streetworker-Stelle! Wir hoffen inständig, dass die Stadtverwaltung eine längerfristige Finanzierung für diese wichtige Arbeit bereitstellt, damit (u.a.) die Lucie ein angenehmer Aufenthaltsort für alle sein kann.
Und nun das Wichtigste: Die Umgestaltung
Ihr erinnert euch: Schon Ende 2015 haben wir mit der Entsiegelung des Platzes gerechnet. Doch von den Behörden bekamen wir wenig Auskunft und spätestens im Laufe von 2016 wurde klar: Das wird noch dauern. Unsere Devise lautete „Trotzdem Gärtnern“. Wir machen den Platz grün, so oder so.
Im Juni 2017 bekamen wir Post: Der zuständige Stadtplaner Christian Schilling lud zu einem Termin in die senatorische Behörde, um das weitere Vorgehen zur Lucie Entsiegelung zu besprechen. Aufgeregt und ein wenig skeptisch nahmen wir dort ein Papier namens „Nutzungsvereinbarung über die städtische Fläche Lucie-Flechtmann-Platz“ entgegen. Nach zahlreichen Diskussionen, juristischer Beratung und kleineren Änderungen haben die Vorsitzenden unseres Vereins KulturPflanzen e.V. diese Nutzungsvereinbarung Ende August schließlich unterzeichnet!
Zwar waren wir mit dem Inhalt der Vereinbarung nicht unbedingt zufrieden, denn mit der Unterzeichnung hat unsere kleine ehrenamtliche Gruppe die gesamte Verantwortung für den öffentlichen Platz übernehmen müssen. Beim Versuch dieses Ungleichgewicht an Verantwortung auf der einen Seite (wir) und den entsprechenden Ressourcen auf der anderen Seite (Stadtverwaltung) zu verhandeln, wurde aber schnell deutlich, dass die Umgestaltung nicht passieren wird, wenn auf Behördenseite nicht jeglicher Mehraufwand ausgeschlossen werden kann.
Damit war klar: Besser wird’s nicht. Dank einer 6-monatigen Kündigungsfrist ist das Risiko für uns kalkulierbar. Außerdem sind wir überzeugt, dass wir eine entsiegelte Lucie brauchen: Als Treffpunkt für nachbarschaftlichen Austausch, als einen Ort zum Handeln, an dem wir machen können anstatt zu meckern, für mehr Artenvielfalt, mehr Leben und mehr Selbstbestimmtheit in der Stadt. Und als ein Leuchtturm-Projekt, das auch Andere zum Anpacken motiviert – für viele kleine Lucies überall.
Umgestaltung Teil 2: Der Abbau
Das ist der Plan: Bis November sollten wir die Lucie leer räumen. Dann würde die Baustelle ausgeschrieben und im Januar 2018 sollen die Pflastersteine weg. Im März 2018 soll uns dann der entsiegelte Lucie-Flechtmann-Platz übergeben werden.
Zwischen August und November mal eben die Lucie leer räumen - ein großer Akt! Über 60 m³ Erde mussten wir bewegen, mehrere LKW-Ladungen Holz zur Deponie bringen, der Biomeiler, das Gewächshaus, die Schadstoff-Hecke und die Kräuerspirale mussten abgebaut werden, die zahlreichen Töpfe und Kübel mussten wir loswerden – und wohin mit den Pflanzen? Bei einer großen Verschenke-Aktion haben sich die Lucie-Pflanzen in die ganze Stadt verteilt.
In den Lucie-Abbau haben wir mehrere Herbst-Wochenenden investiert, und das gesamte Preisgeld des Nachbarschaftspreises der nebenan.de-Stiftung, den wir im September erhalten haben. Am Ende waren sowohl die Lucie, als auch das Vereinskonto ziemlich leer… was nun?
Lucie braucht dich! Spenden-Aufruf
Um die große finanzielle Hürde zu stemmen, die uns durch die Lucie-Entsiegelung bevorsteht, benötigen wir Unterstützung. Die monatlichen Kosten für Strom, Wasser, Versicherung, Müllentsorgung u.a. belaufen sich auf ca. 500 Euro. Wenn uns 100 Leute im Monat nur 5 Euro spenden, wären wir finanziell auf der sicheren Seite. Bitte spende auch du, um das Bremen von morgen grüner zu machen - und um zu beweisen, dass eine andere Art Stadt möglich ist!
Übrigens: In unserem Adventskalender im Dezember haben euch die Lucie-Aktiven in kurzen Videos erklärt, warum sie die Lucie wichtig finden. Wir haben selbst gestaunt, wie vielfältig die Antworten sind. Schaut doch mal rein:
Unter dem Pflaster liegt der Strand from Ab geht die Lucie on Vimeo.
Unseren Spender/innen möchten wir an dieser Stelle herzlich danken für das entgegengebrachte Vertrauen und die wichtige Unterstützung! Ihr verschafft uns Planungssicherheit und macht uns unabhängig von Fördergeldern – Tausend Dank dafür!!
Die Lucie sieht nun fast wieder so aus wie 2013, bevor alles begann. Die aktuelle Einöde ist aber nur ein Übergang. Die Pflastersteine werden endlich weichen und der Lucie-Garten wird grüner denn je – dieses Mal wirklich!
Wir freuen uns auf ein neues Gartenjahr 2018!
Foto: Elisabeth Schindler |
PS: Das Jahr der Erfolge - Lucie bekommt eine Schwester
2017 war das Jahr der Erfolge. Nicht nur die Umgestaltung haben wir dingfest gemacht, Lucie bekommt auch eine Schwester. Dank einer Förderung durch das Bundesministerium für Umwelt konnten wir in Räumen direkt gegenüber der Lucie die KlimaWerkStadt eröffnen. Die KlimaWerkStadt beherbergt eine offene Werkstatt, einen Material-Fundus und ist ein Ort für nachbarschaftliche Selbsthilfe rund um klimaverträgliches Alltagshandeln – mit vielen Workshops und anderen Bildungsveranstaltungen möchten wir die Neustadt hin zu einem zukunftsfähigen Stadtteil verändern. Komm doch mal rum!